Was ist ein Mensch? Ist eine befruchtete Eizelle „schon“ ein Mensch? Ist ein hirntoter Komapatient „noch“ ein Mensch? Die Frage nach dem Menschen stellt sich nicht nur in lebensweltlichen Grenzsituationen, sondern auch in wissenschaftlichen Debatten über den Menschen, die insbesondere als Streitgespräche zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften geführt werden. Hierbei erweist sich die Anthropologie, die Lehre vom Menschen, als ein vielgestaltiges und turbulentes Forschungsfeld, das keineswegs mit fertigen Antworten aufwartet. Vielmehr prägen zahlreiche Disziplinen und übergreifende Forschungsfragen die gegenwärtige Anthropologie-Debatte, die zu einer starken Fragmentierung des Wissens über den Menschen führt. Insbesondere naturwissenschaftliche Disziplinen, wie z. B. die Molekularbiologie, entfernen sich teilweise stark von einer Gesamtperspektive auf den Menschen und sind lebensweltlich nur schwer zu vermitteln oder sie lösen den Menschen gänzlich in seiner materialen Natur auf, so in allen theoretischen Spielarten naturalistischer Reduktion. In den Sozial- und Geisteswissenschaften finden sich auch Fokussierungen auf menschliche Kenngrößen: Beispielsweise der Homo oeconomicus als Nutzenmaximierer, das aristotelische animal rationale als Tier mit Denkfähigkeit oder der viel bemühte Homo faber, der die Schaffens- und Schöpfungsfähigkeit des Menschen anspricht. Aktuelle Diskussionen zur Bestimmung des Menschen und Abgrenzung von anderen Lebensformen machen deutlich, dass allem Verfügungswissen zum Trotz handlungsleitende Maximen im Sinne relevanter Menschenbilder fehlen. Das Desiderat einer konsistenten Theorie des Menschen bleibt auf der Tagesordnung.

Das Studium Generale der Bergischen Universität greift diese Aspekte auf und fasst sie unter der integrativen Leitfrage „Was ist der Mensch?“ zusammen, die für einige Semester den thematischen Schwerpunkt darstellen wird. Die Anthropologie als Gegenstand rsp. Mittelpunkt diverser Disziplinen soll unter thematischen Oberbegriffen vorgestellt und erfahren werden. Den Auftakt bildeten mit den ersten Wuppertaler Zoogesprächen (Sommersemester 2012) die biologischen Naturwissenschaften, die über die Primatologie einen indirekten Zugang zum Menschen bzw. der Menschwerdung anbieten. Betrachtet wurden unter anderem die Relevanz und Mechanik evolutionsdynamischer Prozesse, die Entwicklung von Kultur und Kulturen im Tierreich, Besonderheiten von sozialen Organisationsformen. Eine Auswahl namhafter Primatologen und Anthropologen gaben Einblicke in ihre Forschungsarbeit und diskutierten mit den Zuhörern (siehe Archiv).

In den 2. Wuppertaler Zoogesprächen wird die Frage nach den menschlichen Universalien aus Perspektive verschiedener Disziplinen betrachtet: Ist „Kultur“ als menschliches Alleinstellungsmerkmal beschreibbar? Wie lässt sich die Rolle bzw. Funktion von Kultur im Kontext der frühgeschichtlichen geographischen Ausbreitung des Menschen kennzeichnen? Sind Eigenschaften wie Empathie und Kooperationsfähigkeit als Teil der menschlichen Natur zu begreifen? Die vortragenden Referenten umspannen ein weites Feld von historischen Wissenschaften (Archäologie) über Philosophie bis hin zur Ethnologie. Als besonderen Anreiz bietet der Veranstaltungsort – das Menschenaffenhaus des Wuppertaler Zoos – eine Möglichkeit zur doppelten Reflexion der anthropologischen Bestimmungsversuche, die stets Selbstbestimmungen sind: Das Objekt und Subjekt der Betrachtungen „Mensch“ fällt im Mensch zusammen. Die Präsenz eines evolutiven Mitstreiters, der hinter Panzerglas artgerecht gehalten wird, macht das Problem anschaulich. Der Prozess der wissenschaftlichen Selbstfindung und Selbstbestimmung des Menschen, ist immer auch ein Vorgang der Differenzsetzung und Abgrenzung. Im Menschenaffenhaus des Wuppertaler Zoos wird die Performanz dieses Aktes offensichtlich und so selbst Gegenstand der Reflexion werden.

In den kommenden Semestern werden weitere Schwerpunktthemen der Anthropologie inter- bzw. transdisziplinär verhandelt: Sprache, Kultur & Bildung, Wissen, Ökonomie & Ökologie, Glauben etc.